Interview Kurt Vetterli
Im Jahr 2010 interviewte ich einige evangelikale Leiter zum Zustand der Kirche, Evangelium und persönlichem. Diese Interview Serie werde ich hier neu auflegen.
Kurt Vetterli ist Pastor der Evangelisch-reformierte Kirche Westminster Bekenntnisses Basel und Autor von Netzreden.
1. Was denkst du ist die größte Not der heutigen Kirche? (Antwort bitte in dem Bereich wo du Einsicht hast)
Es gibt mehrere Probleme:
Aufsplitterung der Kirche (ich spreche von der ‚sichtbaren Kirche‘ und meine die Gesamtheit aller lokalen Gemeinden, die Christus als Herrn und Erlöser bekennen und sich zu formellen Gottesdiensten an einem bestimmten Ort versammeln) in „Interessengruppen“, mangelnde Lehre, Erfahrungsorientierte Gottesdienste‘, Missachtung der Anweisungen des Apostels in den Pastoralbriefen für das Gemeindeleben, grundsätzlich ein mangelndes Verständnis dessen, was Kirche ist (und wie wichtig sie für den einzelnen Christen ist), usw.
2. Was ist die Lösung dafür?
Umkehr, Reformation, erneute Orientierung allein am Wort Gottes – die Bibel als alleinige Grundlage für Lehre und Leben (privat und in der Gemeinde) nehmen. Viele behaupten zwar, dass sie das tun würden, aber in der Praxis sieht es ganz anders aus. Z.B. werden in der Lebensberatung, die Pastoren und Laienseelsorger anbieten, Zitate und sogenannte Wahrheiten verwendet, aber oft werden diese nicht im Kontext der ganzen Lehre der Schrift gebraucht, sondern in die Vermittlung von Bibel-fremden Lehren (Zeitgeist, weltliche Weisheit und Philosophie, Psychotherapie) eingebaut. Die Ursache dieses Problems ist meiner Ansicht nach eine mangelnde Kenntnis der biblischen Lehre, vor allem des heilsgeschichtlichen Zusammenhangs der biblischen Bücher (biblische Theologie) und auch systematisch-theologischer Kenntnis. Der Seelsorger wird in der Beratung immer auf das zurückgreifen, was er abrufbar ‚intus‘ hat. Wenn mangelnde theologische und Bibelkenntnis da ist, wird er hervornehmen, was da ist und das ist dann das, was in der Luft ist, die er atmet – eben die psychologische Weisheit der Welt.
Die Lösung zu diesem Problem ist nicht kompliziert: Pfarrer/Pastoren sollten wieder mehr biblisch- und systematisch-theologisch ausgebildet werden, statt dass man sich ständig mit Strategien und wirksamen Techniken für Gemeindewachstum, -Aufbau und ‚Seelsorge‘ beschäftigt. In solcher Weise biblisch geschulte Pfarrer werden auch ihre Gemeinden mit dem Wort Gottes schulen (Verkündigung als Schriftauslegung, statt Geschichten erzählen). Dadurch werden sie ebenfalls mit biblischer Kenntnis ausgestattet und fit für ein göttliches Leben und auch fähig, wieder andere zu lehren (2Tim 3:15-17).
3. Welche 5 Bücher haben dich am meisten im Glauben weitergebracht oder beeinflusst und warum? (neben der Bibel)
Ich merke gerade, dass ich es mir sehr schwer fällt, genau fünf zu nennen. Es sind so viele, die ich nicht auslassen möchte…. Hier eine Auswahl:
Arthur Pink: Die Souveränität Gottes (hat mich gelehrt, wer Gott ist)
Charles Spurgeon: Autobiografie (Spurgeon hat mir vor allem die Puritaner lieb gemacht)
Martin Luther: Vom unfreien Willen (hat mir – vor allem in der Einführung – gezeigt, wie man überhaupt Theologie treiben muss)
Bibelauslegungen und Vorträge von Martyn Lloyd.Jones (haben mich gelehrt, was „Theology on Fire“ ist)
Thomas Schirrmacher: Römerbrief und Ethik (waren entscheidend daran beteiligt, mich zum Theologiestudium zu motivieren)
Kim Riddlebarger: „Amillennialism“ (hat mich gelehrt, die hermeneutischen Fehler des Dispensationalismus klar zu erkennen und hat mich in der Vermutung bestätigt, dass es kein künftiges ‚tausendjähriges Reich nach der Wiederkunft Christi gibt) Div. Bücher und Artikel von Michael Horton (geben mir eine gute Ausgewogenheit von theologischer Exaktheit und praktischer Frömmigkeit)
Johanes Calvin: Institutio, seine Predigten, Kommentare, kürzere Schriften – eigentlich alles… (Calvin zeigt mir auf einzigartige Weise, wie die Bibel verstanden und wie danach gelebt werden muss. Je mehr ich ihn lese, desto mehr merke ich, dass die meisten seiner modernen Kritiker ihn kaum gelesen haben können…)
Weiter: verschiedene Puritaner wie John Owen, John Bunyan, John Flavel, Richard Sibbes, usw. (die Stärke der Puritaner ist ihre immense Bibelkenntnis, die ihnen (und ihren Lesern) eine grosse Weisheit für die praktische Frömmigkeit im Alltag gibt – von ihnen kann man lernen, was es heisst, in wahrer Heiligung zu leben)
4. Wo sind für dich Grenzen der Einheit unter “bekennenden” Christen (Wo fängt Irrlehre an und was sind Auslegungsspielräume)?
Wir müssen Einheit in den Fragen der Christologie (Lehre über die Person Christi, sein Wesen, z.B. seine Gottheit und gleichzeitige Menschlichkeit) und der Soteriologie (Lehre vom Heil, beinhaltet z.B. Rechtfertigung allein aus Gnade, durch Christus, durch den Glauben, Jesu Stellvertretenden Sühnetod und seine Auferstehung, usw.), haben, damit wir zusammenarbeiten können. Darin, wie man gewisse Dinge tut (äussere Formen) können wir unterschiedlicher Meinung sein.
5. Was beschäftigt dich momentan persönlich am meisten?
Die Frage: wie gewinne ich Christen dafür, Evangeliums-zentriert Gottesdienst zu feiern und zu leben – und: wie gewinne ich in meinem Umfeld Menschen für Christus?
6. Was muss ein Mensch glauben um errettet zu werden?
Er muss glauben, dass er aufgrund seiner Sünde (d.h. sein Leben entgegen Gottes Geboten und in einer ignoranten bis abweisenden Haltung gegenüber seinem Schöpfer) von dem heiligen und gerechten Gott getrennt ist, keine Gemeinschaft mit ihm haben kann und dass dieser Zustand für die Ewigkeit bleibt, wenn er nicht davon umkehrt und bei Gott selber Hilfe findet. Gottes Hilfe besteht darin, dass er seinen Sohn auf die Welt gesandt hat, um stellvertretend für die, die glauben (das sind die Erwählten) ein vollkommen gerechtes Leben nach Gottes Gesetz gelebt hat und ebenso stellvertretend für die Sünde dieser Menschen verurteilt wurde. Gottes Gerechtigkeit ist so Genüge getan und wer diese Stellvertretung Christi für sich in Anspruch nimmt und allein auf Christus vertraut für seine Rettung, der wird gerettet.
Noch kürzer gesagt: ich muss erkennen: Gott ist gerecht, ich bin es nicht. ich muss es aber sein, um in Gottes Nähe bestehen zu können. Christus schenkt mir seine Gerechtigkeit, das genügt.
7. Glauben Muslime an den gleichen Gott und haben nur ein falsches Gottesbild? (da es ja nur einen Schöpfer gibt und sie ja auch den meinen?)
Darüber könnte man sicher streiten. Wichtig ist: Gott offenbart sich allein in Christus. Wer ihn sieht, sieht den Vater (Gott, den man auf arabisch auch Allah nennen kann). Mohammed ist ein falscher Prophet, denn er verkündet nicht Christus als Gottes Sohn und einzigen Retter für uns Sünder.
Damit ist nicht gesagt, dass Muslime nicht ernsthafte Gott-Sucher sein können. Nur: Wenn sie nicht Christus finden, haben sie Gott nicht erkannt.